Grubenunglück 1945
Die Grabstätte auf dem Nordfriedhof in Alsdorf
Gedenken an das Unglück vor 75 Jahren auf der Grube Anna I am 26. Januar 1945
3 ½ Monate vor dem Ende des 2.Weltkrieges und 3 ½ Monate nach der Besetzung Alsdorfs durch amerikanische Truppen (7.10.1944). In dem Buch „Vor Ort“ wird der damalige Betriebsdirektor Günther Venn zitiert: „Als wir dachten, das Schlimmste überstanden zu haben, da traf uns das Unglück, welches 21 Bergleuten das Leben kostete.“
Was war geschehen? Auf der 610-m-Sohle, der Grube Anna I sollte eine größere Menge Sprengstoff, welche durch das Absaufen der Sohle verdorben war, in zwölf Förderwagen abtransportiert werden. Am Füllort der 610-m-Sohle (am Hauptschacht) kam es aus ungeklärter Ursache zu einer Explosion des Sprengstoffes („Vor Ort“ Seite 177).
Zur Vorgeschichte: Deutschland, also auch Alsdorf, befindet sich im September 1944 im fünften Kriegsjahr, und die amerikanische Front rückt immer näher. Damit der Besatzung kein intaktes Bergwerk in die Hände fällt, befiehlt die NSDAP am 11.September 1944, an den für das Bergwerk wichtigen Maschinen betriebsnotwendige Teile auszubauen und nach Bochum zu schicken. Zu diesen Maßnahmen gehört es, auch die elektrische Versorgung der Maschinen und Grubengebäude zu lähmen.
Der damalige Betriebsdirektor Günther Venn widersetzt sich diesem Befehl und lässt nur eher unwichtige Teile ausbauen, weil er der Meinung ist, dass es nach dem Kriegsende überlebensnotwendig ist, schnellstens wieder Kohle zu fördern, weil sie die Lebensgrundlage der Bevölkerung darstellt. Er lässt auch Anfang Oktober 1944 untertage ein zwei Kilometer langes Kabel zu den Pumpen am Schacht Feldgemeinschaft in Duffesheide verlegen, um bei Ausfall der übertägigen Stromversorgung einen Stillstand der Pumpen zu verhindern, denn diese sind essentiell wichtig für das Bergwerk. An Feld Gemeinschaft ist der größte Wasserzulauf mit 22 000 Kubikmetern pro Tag zu verzeichnen, und in nur wenigen Wochen stünde die gesamte Grube unter Wasser, wenn dies nicht zu Tage gepumpt würde.
Wie Recht er damit hatte, zeigte sich sehr bald. Noch während der Verlegung des Kabels wurde die übertägige Freileitung durch Beschuss zerstört und das Kesselhaus stark beschädigt, sodass ein mehrtägiger Stromausfall die Folge war. Dadurch dringt eine große Menge Wasser in die Grubenbaue, bevor das Kabel komplett verlegt und angeschlossen ist. Mit größter Mühe und abenteuerlichen wie lebensgefährlichen Einsätzen gelingt es, ein komplettes Absaufen zu verhindern. Dennoch steht die 610 Meter-Sohle zur Hälfte unter Wasser und somit auch die eigentlich trocken gelagerten Sprengstoffvorräte für die Streckenvortriebe. Dies geschah alles im Oktober 1944.
Diese Schilderung der Zusammenhänge ist der „Schriftlichen Hausarbeit .. zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe 1 von Ruth Pohlmann-Schillings 6.5.1996“ entnommen, welche in den Jahresblättern des Alsdorfer Geschichtsvereins 1996 & 1997, Seite 56 bis 122 erschienen ist.
Dann kommt es zu dem folgenschweren Ereignis am 26. Januar 1945, welches Venn in den Jahresblättern 1984 des Alsdorfer Geschichtsvereins auf Seite 70 („21 Jahre Alsdorf“) wie folgt beschreibt:
„Als der Beschuß unseres Gebietes nachließ und wir dachten das Schlimmste überstanden zu haben, traf uns alle ein unvergeßlicher, grausamer Schicksalsschlag, dem ein großer Teil unserer Notbelegschaft, nämlich 21 treue Arbeitskammeraden, zum Opfer fielen. Während die 610-m-Sohle, wie bereits erwähnt, durch die Einschläge im Kesselhaus unter Wasser stand, waren auch die in der Sprengstoffkammer lagernden Sprengstoffvorräte davon betroffen worden und verdorben. Unter Leitung eines zuverlässigen Steigers wurden die Kartons mit dem verdorbenen Sprengstoff in sieben Förderwagen geladen, um über Tage auf der Halde vernichtet zu werden. Wahrscheinlich ist durch das Wasser aus dem Sprengstoff das hochbrisante Sprengöl ausgelaugt worden und durch die an diesem Tag plötzlich einsetzende Kälte gefroren. Gefrorenes Sprengöl ist bei Erschütterung und Druck hochexplosiv. Durch diese Verkettung nicht übersehbarer Umstände und durch die beim Aufschieben der Förderwagen entstehende Erschütterung sind alle sieben mit Sprengstoff beladenen Förderwagen explodiert.
Das Füllort bot den Anblick grausigster Zerstörung. Keiner der am Schacht und auf mehrere hundert Meter davon Beschäftigten hat das Unglück überlebt. Das war für uns der schwärzeste Tag des ganzen, an erschütternden Ereignissen nicht gerade armen Kriegsgeschehens.“
Ein paar Zeilen weiter berichtet Günther Venn:
„Als ich den Ort des Grauens verließ, traf ich an der Richtstrecke zum Wilhelmschacht den holländischen Oberst Paulen, der bei dem in der Verwaltung Anna stationierten Ortskommandanten der amerikanischen Zivilverwaltung Dienst tat. Er ließ mich sofort verhaften und erhob den unsinnigen Vorwurf gegen mich, es handele sich nicht um ein Unglück, sondern es sei ein von mir inszenierter Sabotageakt. Im Verwaltungsgebäude wurde ich dem amerikanischen Oberst Simon vorgeführt, ….. , der mich sofort auf freien Fuß setzte mit den Worten: ‚Herr Venn ist unser Mann‘.“
Im Anschluß hieran schreibt Venn weiter:
“In einer würdigen Gedenkfeier nahmen die Angehörigen und die verbliebene Notbelegschaft in der Lohnhalle der Grube Anna II in Gegenwart des Bischofs van der Velden von Aachen tieferschüttert Abschied von unseren toten Kammeraden, von denen anschließend neun auf dem Nordfriedhof und die anderen auf ihren Heimatfriedhöfen die letzte Ruhe fanden.“
Soweit die Schilderung von Bergwerksdirektor Günther Venn zum Unglück. Er schreibt seine Erinnerungen Jahre später (Ende der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre) nieder, dabei unterläuft ihm ein Fehler, er ordnet das Unglück auf den 21. Januar (ein Sonntag) ein, tatsächlich war es aber am Freitag, dem 26. Januar 1945, wie u.a. die Listen der tödlich Verunglückten von Veronika Leisten beweisen.
Über das Unglück und die Beisetzung der tödlich Verunglückten sind wir erst im Laufe der Recherchen auf einen Zeitungsartikel aufmerksam geworden, u.a. durch die von uns angestoßene Lokal-und Chef-Redaktion der AN/AZ. Die von der Besatzung Mitte Januar 1945 ins Leben gerufenen Aachener Nachrichten berichten in der 2. Ausgabe vom 31. Januar 1945 (Erstausgabe 25.1.1945) über das Unglück wie folgt:
„16 Alsdorfer Bergarbeiter sind tot, fünf sind in einem Hospital mit schweren Verletzungen und mehrere werden vermißt, nachdem eine Dynamit-Explosion in der Grube „Anna I“ letzten Freitag erfolgt war. Die Beerdigung der 16 Opfer fand gestern hier statt. Das Unglück geschah, als die Bergarbeiter dabei waren, ein Dynamitdepot von einem Lager in der Grube „Anna I“ wegzuschaffen. Die vorläufigen Untersuchungen ergaben, daß die Explosion dadurch hervorgerufen wurde, daß das Dynamit naß wurde. Das Dynamit war auf einem Kraftwagen geladen und zu einem Ladekäfig gebracht worden. Alle 16, die sich in unmittelbarer Nähe befanden, wurden sofort getötet und der Ladekäfig auf dem Grubengrund wurde in Steinschutt begraben. Der Verlust an Menschenleben wäre beträchtlich größer gewesen, wenn es nicht Verbindungsstollen von Anna I und Anna II mit Adolfschacht gegeben hätte. Dadurch war es den deutschen Rettungsmannschaften möglich, beinahe 160 Mann aus ihrer bedrohten Lage zu retten. Die meisten Bergleute, die in diesen Gruben beschäftigt waren, sind alte Männer, einige bis 75 Jahre. Viele junge Bergarbeiter wurden von der zurückweichenden Wehrmacht zur Evakuierung gezwungen. Die Militär-Regierung hat eine Untersuchung des Unglücks angefordert.“
In den uns vorliegenden Zeitungen „Die Mitteilungen von der amerikanischen 12. Heeresgruppe für die deutsche Bevölkerung“ steht kein Satz über das Unglück.
Noch ein letztes Protokoll liegt uns vor mit Aussagen zu den Geschehnissen. Es wurde Monate später am 25.9.1945 verhandelt und niedergeschrieben. Aus dem Protokoll geht nicht ohne weiteres hervor, vor wem der Obersteiger Anton Huppertz (49 Jahre) die Aussage gemacht hat:
„Das Sprengstofflager auf der 610-m-Sohle war infolge der Kriegseinwirkungen von Oktober bis Dezember 1944 versoffen. Nachdem die Sohle wieder frei gepumpt war, stellte ich fest, daß etwa 3 t …ter-Nobelit und 24,5 kg Gelatine-Donarit I sowie 5 Kisten mit Zündern verdorben waren. Die Sprengstoffe und Zünder sollten auf der Bergehalde vernichtet werden. Um die Sprengstoffe abfördern zu können, waren Ausbesserungsarbeiten an den beschädigten Zugängen erforderlich. Es war Anweisung gegeben, daß Zünder und Sprengstoff auf keinen Fall gemeinsam transportiert werden durften. Der Transport sollte unter Aufsicht einer Aufsichtsperson vor sich gehen. Am 26. 1. 1945 begann der Sprengstoff-ausgeber Hennes mit der Verladung. Hierzu benutzte er eine Diesellokomotive und 10 Förderwagen. Noch zu Beginn der Morgenschicht dieses Tages hatte ich Hennes die Anweisung gegeben, daß nur unter Aufsicht transportiert werden dürfte. Gegen 10.30 Uhr verspürte ich in Flöz E, wo ich mich gerade befand, einen Luftstoß. Kurz danach blieb die Druckluft aus. Ich begab mich sofort nach unten, wo mir Rauchschwaden entgegen kamen, welche den Geruch von Sprengstoffexplosion hatten. Ich bin dann mit der Strebbelegschaft auf Anna II ausgefahren und habe mich anschließend an den Bergungsarbeiten beteiligt.
Das Füllort der 610-m-Sohle war stark beschädigt. In unmittelbarer Nähe des Schachtes wurden 2 umgekippte Förderwagen gefunden. Im Füllort und in den angrenzenden Umtrieben wurden 17 Tote der Schachtbedienung, der Werkstätten usw. festgestellt. Außerdem wurden in der Richtstrecke 2 Tote und 1 Schwerverletzter geborgen. Der Sprengstoffausgeber Hennes befand sich unter den Toten. Auch alle anderen Augenzeugen sind bei der Explosion tödlich verunglückt.
Wie wir heute wissen, wurden von den 21 toten Bergleuten neun auf dem Alsdorfer Nordfriedhof und neun in Kellersberg beigesetzt.
Vor 186 Jahren, am gleichen Januartag, dem 26. im Jahre 1834, ereignete sich in der Grube Gouley das bis dahin größte Unglück auf einer Grube des Aachener Reviers mit 63 Toten. In Folge eines Wassereinbruchs wurden sie von dem rettenden Schacht abgeschnitten. Auch derer wollen wir gedenken, sowie aller im Bergbau tot gebliebenen Bergleute irgendwo in Deutschland, Europa oder weltweit.
Karl-Peter Schröder